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Interview mit dem Fotografen Uli Lühr (11/2009)

Was ist schöner als doppelte Freude?

Sylvia Rabenstein (SR), AudioPress ©, im Interview mit Uli Lühr

SR:
Sie fotografieren meistens mit einer digitalen Spiegelreflexkamera. Wie kommt es, daß viele Ihrer Fotos meist so anders sind, solche frischen Farben ausstrahlen? Sie verändern die doch sicher, oder?

Uli Lühr:
Nun, ich verwende einen besonderen Digitalfilm. Nein, im Ernst. Selbstverständlich habe ich bei allen Fotos eine Vorstellung davon, welchen Zweck sie erfüllen und wie sie auf den Betrachter wirken sollen. Bei den meisten Fotos ist eine natürliche Anmutung gewünscht, dann führe ich korrigierend eine sehr dezente Bildbearbeitung durch. Dazu gehört z.B. eine lediglich leichte Erhöhung des Kontrastes oder der Farbwerte. Auch Retuschen gehören dazu, wenn störende Objekte nicht bereits beim Fotografieren durch einen anderen Blickwinkel vermeidbar sind.

Es gibt aber auch Fotos, welche allein vom Motiv oder vom Ausdruck her so absurd und surreal wirken, als seien sie nicht von dieser Welt. Dann bin ich gerne bereit, diesen surrealen Eindruck durch unnatürlich wirkende Filter und Farbwerte besonders zu steigern. Einige Motive verfremde ich dann dermaßen, daß ich diese unter der Rubrik "Digital Art" abspeichere. Oft als Vorlage für spätere Bilder, die ich teils in Acrylfarben, teils im Mischtechnik als "Mixed Media in Canvas" großflächig auf Leinwand male. Dafür kommen die meisten Fotos jedoch nicht in Frage. Momentan widme ich mich hauptsächlich der Fotografie und nicht der Malerei.

SR:
Ist es nicht recht einfach, Fotos mit Bildbearbeitungsprogrammen digital zu verändern?

Uli Lühr:
Es braucht viel Lernen, um die Möglichkeiten und Grenzen digitaler Bildbearbeitung richtig einzusetzen. Trotz jahrelanger Erfahrung benötige ich am PC mitunter durchaus zwanzig Minuten für die Nachbearbeitung eines einzigen Fotos. Auf jedes einzelne Foto verwende ich viel Sorgfalt. Das habe ich früher in der Dunkelkammer ja auch gemacht. Dabei hatte das Entwickeln der analogen Fotos noch länger gedauert und viel teures Papier und Chemikalien gekostet. Die digitale Bildbearbeitung ist bequemer und einfacher. Man kann mehr experimientieren. Ganze Bearbeitungsschritte kann man rückgängig machen, ohne etwas zu verlieren. Das war früher im Labor nicht möglich.

SR:
Worauf achten Sie bei der Auswahl der Motive?

Uli Lühr:
Grundsätzlich versuche ich, bereits bei der Motivauswahl zu überlegen, aus welchem Blickwinkel schaut es am besten aus? Welche Tageszeit ist die beste? Wie steht wann die Sonne? Welches Wetter ist das beste? Um welche Uhrzeit sind störende Faktoren wie unerwünschter Strassenverkehr oder zu viele Passanten am wenigsten zu erwarten?

SR:
Machen Sie sich vor jedem Foto soviel Gedanken?

Uli Lühr::
Nein. Zu solchen Überlegungen ist nicht immer Zeit. Spontane Fotos lassen sich kaum vorher planen - die entstehen intuitiv, aus dem Bauch heraus. Im Gegensatz zu unbewegten Motiven kommt es dabei nicht auf so viele Details an, aber ein besonderer Blickwinkel und die Ausdruckstärke sind dann umso wichtiger.

SR:
Macht es einen Unterschied, wenn man Leute fotografiert?

Uli Lühr:
Wenn möglich trete ich in einen Dialog zwischen der Person und der Kamera, wobei ich ähnlich einem Regisseur Anregungen oder Ideen gebe, oft nonverbal, die meist gerne angenommen werden. Die abgebildeten Personen spielen gerne mit. Die meisten lieben es, sich selbst in Szene zu setzen. Ich helfe ihnen dabei spielerisch, sich möglichst ungezwungen frei vor der Kamera zu bewegen. Sie spüren, dass sie mir vertrauen können und verlieren dabei ihre Hemmungen, Sie gewinnen an Natürlichkeit. Meine besten Fotos gelingen nur auf Augenhöhe. Das meine ich zwischenmenschlich. Dann drücke ich auf den Auflöser. Das sind Momente der Freundschaft - in diesem Moment. Manchmal dann auch für länger.

SR:
Was fotografieren Sie am liebsten?

Uli Lühr:
Mich fasziniert die Vielfalt der Gegensätze. Das Skurrile, das Schräge, das Ungewöhnliche üben auf mich einen besonderen Reiz aus. Ebenso auch das Stille, das Unbeachtete, das ganz Normale, das Biedere. Da knippse ich drauflos, und ich bemerke viele, die mich beobachten und fragen, wieso fotografiert der das? Das ist doch nichts Besonderes! Oder sie halten mich für bekloppt. Ja, genau deswegen fotografiere ich das, dann bin eben bekloppt. Sollen sie denken, was sie wollen. Dinge verändern sich. Menschen ändern ihren Kleidungsstil, Städte verändern ihr Gesicht. Wir sind ein Teil der Natur, in einem fließenden Prozess von Kommen und Gehen, von Nehmen und Geben. Selbst ein scheinbar gleich bleibendes Motiv ändert sein Aussehen. Flüchtige Momente gehören zum Leben, das mag ich.

SR:
Wen oder was würden Sie denn keinesfall fotografieren wollen?

Uli Lühr:
Einige Schauspielerberühmtheiten zum Beispiel. Deren Showposing auf dem Roten Teppich hat für mich keine Botschaft, außer: "Bin ich nicht toll?" Das ist mir zu wenig. Absolut langweilig und hohl. Schönheitsideale sind mir nicht wichtig. Bei mir funktioniert es nicht, eine Show abzuziehen. Ich will ehrliche Portraits. Und keine smiling sunnyboys. Und wenn doch Show, dann bitte als humorvolles Entertainment. Sehr gerne sogar. Als Fotograf für arrogantes Machtverhalten lasse ich mich nicht mißbrauchen. Und mag die Bezahlung noch so gut sein. Sollen die sich einen anderen Egoshooter suchen.

Das Verklemmte, das Gezwungene ist mir ein Gräuel. Deshalb interessiert es mich keinen Deut, als People-Fotograf massenweise Leute in Partylaune abzulichten. Auch als Paparazzi hätte ich keinen Spass an meiner Arbeit. Auch nicht als Fotograf für Produkte für Katalogwerbung. Das bringt zwar Geld und verlangt auch viel Können, ist aber sehr langweilig. Ich stehe nicht gerne den ganzen Tag unter heißen Leuchtsystemen in stickigen Fotostudios. Ich brauche Luft und viel natürliches Licht. Da verzichte ich lieber: "Freedom is another word for nothing have to loose"!

SR:
Wen würden Sie gerne einmal portraitieren?

Uli Lühr:
Kevin Costner. Mir gefällt seine Aufrichtigkeit. Ich mag ihn. Wir würden gut harmonieren. Mit ihm hätte ich auch eine Menge zu bereden.

SR:
Was denn zum Beispiel?

Uli Lühr:
Ein Filmprojekt, bei dem Kevin Costner Regie führt. Ich habe die Drehbuchvorlage für eine unglaublich packende Geschichte, die meinem Großvater im ersten Weltkrieg widerfahren ist. Seine Flucht stellt den Film "So weit die Füsse tragen" in den Schatten. Ich besitze die Originalaufzeichnungen. Ich glaube, das wäre auch sein Ding. Unglaublich viel Action, Freiheitsliebe, Dramatisches und Sentimentales. Und es geht gut aus: Mein Großvater hatte es geschafft! Sonst säße ich nicht hier.

SR:
Wohl wahr. Verraten Sie uns mal einen kleinen Trick? Was sagen Sie eigentlich, wenn Sie jemanden portraitieren möchten?

Uli Lühr:
Meist dasselbe: "Bleib so natürlich wie Du bist. Ich bin garnicht da. Schau keinesfalls zu mir in die Kamera. Benimm Dich wie sonst. Ich werde jetzt über 100 Fotos von Dir schießen. 10 davon werden gut, eines wird richtig gut. Störe Dich nicht an dem Geknipse. Benimm Dich wie immer. Bleib natürlich, wie Du bist. Okay?"

SR:
Und das funktioniert?

Uli Lühr::
Das funktioniert.

SR:
Etwas anderes noch: Hat sich schon einmal jemand von Ihren Bildern blossgestellt gefühlt?

Uli Lühr:
Nein. Jemanden bloßstellen ist nicht mein Ding. Ich hatte schon jemanden vor der Kamera, der bat mich, keinesfalls ein Foto aus einer bestimmten Blickrichtung zu zeigen, weil man sonst sehr schnell beim Lächeln die kaputten Zähne sehen kann. Weil als HARTZ-IV-Empfänger kein Geld für ein neues Gebiß da ist, traut er sich nicht mehr zu lächeln. Die Leute schämen sich dafür. Manchmal handelt sich es auch lediglich um eine kleinere Eitelkeit. Es ist und bleibt nicht nur eine Sache des riesengroßen Vertrauens, sondern auch des ehrlichen Respektes. Wenn jemand zum Beispiel eine bestimmte Haltung garnicht einnehmen mag oder partout meint, das sei nicht seine Schokoladenseite, dann nehme ich das Foto nicht.

Einmal bat mich ein Model, ein bestimmtes Foto nicht zu verwenden, denn darauf würde der Ansatz ihrer Brustwarze zu sehen sein. Ich habe mich angestrengt hinzuschauen und konnte auch in maximaler Vergrößerung nichts entdecken. Also habe ich das Foto nicht verwendet; es ist keinen Streit wert. Obwohl ich von dem Wert der Aufnahme durchaus anderer Meinung war. Es kam auch schon häufiger vor, daß der Portraitierte später seine Meinung änderte und sagte, daß das Foto doch genial sei, und daß ich es verwenden dürfe. Er hätte sich damals nur nicht eingestehen können, sich öffentlich so zu geben.

SR:
Fühlen Sie sich dann als Sieger?

Uli Lühr:
Seltsame Frage. Nein, ich triumphiere in solchen Augenblicken nicht. Es ist für mich lediglich eine Bestätigung, daß mein Bauchgefühl Recht hatte. Mehr nicht. Als Sieger fühlen? Nein, wirklich nicht. Ich freue mich vielmehr darüber, daß er nun auch meine Freude über das Motiv teilt. Was ist schöner als doppelte Freude?

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